Wer in Deutschland Kirchensteuer zahlt, muss nicht unbedingt ein Christ sein. Er kann es tun aus Tradition oder Gewohnheit, weil er als Katholik oder Protestant geboren und getauft wurde und sich, vielleicht aus Trägheit, einfach noch nicht zu dem Entschluss durchgerungen hat, aus der Kirche auszutreten. Vielleicht tut er es aber auch, weil er der Ansicht ist, dass die Kirche eine moralische Autorität verkörpert, die für die Aufrechterhaltung von staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung sehr nützlich ist. Vielleicht aber ist er ein wirklich gläubiger Christ, der an den Gott der Bibel und an die Erlösung durch seinen Sohn Jesus Christus glaubt. Ein Christ mag er wohl sein – aber er ist dennoch weit davon entfernt, ein „wiedergeborener“ Christ zu sein.
„Wiedergeboren“ ist ein Ausdruck, den Jesus vor 2000 geprägt hat und den sich die amerikanischen Evangelikalen zu eigen gemacht haben. Aber wirklich populär wurde er, als Jimmy Carter 1976 verkündete, dass er „born again“ war. Was meinte er damit? Als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei verkündete er auf Wahlkampf-Tour in South Carolina, dass er einmal ein „zutiefst religiöses Erlebnis“ gehabt hätte, das sein Leben verändert habe. Ein Vierteljahrhundert später behauptete wieder ein Präsidentschaftskandidat und späterer Präsident, diesmal war es der Republikaner George W. Bush, dass er ein wiedergeborener Christ sei. Die Erfahrung der „Wiedergeburt“ teilt er mit etwa einem Drittel aller Amerikaner im Wahlalter. In Deutschland ist der Anteil der wiedergeborenen Christen vergleichsweise gering.
Was unterscheidet den „wiedergeborenen“ Christen vom gewöhnlichen Christen? Der “wiedergeborene“ Christ weiß exakt, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort er Jesus Christus als seinen Herrn und Erlöser angenommen hat. Reverend Billy Graham, der Altmeister aller Evangelikalen, kann sich an den Tag im Jahr 1934 erinnern, als er als Sechzehnjähriger an einem Revival-Gottesdienst teilnahm und im Anschluss vor den Altar trat und „Jesus annahm“. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Erlöser muss nicht unbedingt öffentlich im Gottesdienst stattfinden. Einige berichten, sie hätten im stillen Nachdenken und Beten zu Jesus gefunden, so dass es sich ganz natürlich ergeben hätte, dass sie die entscheidenden Worte gesagt oder gedacht hätten: „Herr Jesus, ich glaube an Dich, ich nehme Dich an. Bitte komm in mein Leben.“
Die Wiedergeburt bedeutet für diese Menschen einen radikalen Wendepunkt in ihrem Leben. Ein neues Leben eröffnet sich ihnen, die psychischen Belastungen des früheren Lebens fallen von ihnen ab, ein neuer Wertehorizont wird sichtbar und sie schauen voll Hoffnung in die Zukunft im Vertrauen auf ihre Erlösung durch Jesus. Er ist es nämlich, der vor 2000 Jahren im Gespräch mit dem Pharisäer Nicodemus gesagt hat: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Wogegen Nicodemus mit realistischer Logik einwendet: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er doch alt ist? Kann er ein zweites Mal in den Mutterleib eintreten und geboren werden?“ Jesus versucht zu erklären: „Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ (Johannes Evangelium 3,3). Ohne den Geist also ist die Taufe mit Wasser wertlos.
Zum Schluss bleibt die Frage: Wenn ein Drittel der Menschen wiedergeboren ist und sich somit des ewigen Heils versichert hat – was aber geschieht dann mit den zwei Dritteln der Nicht-Wiedergeborenen? Für die gibt es die Zusage des auferstandenen Jesus: „Wer glaubt und getauft wird, der wird selig werden“ (Markus 16,16).