Drei Sätze, die die enge Verbindung Gottes mit Amerika beschwören, sind jedem Amerikaner bekannt: God bless America (Möge Gott Amerika segnen), In God we trust (Auf Gott vertrauen wir) und one nation under God (eine Nation unter Gott). In diesen drei Sätzen vermischen sich Patriotismus und Religion auf eine Weise, die in neuerer Zeit zunehmend kontrovers gesehen wird.
Irving Berlin, als Jude in Russland geboren und als Dreijähriger 1891 mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert, wurde berühmt als Komponist von über eintausend Liedern, darunter nicht nur der Welthit White Christmas, sondern auch das patriotische Lied, das mit der Zeile endet: God Bless America, My home sweet home. Dieses Lied wurde neben The Battle Hymn oft he Republic, America the Beautiful, und This Land Is Your Land zu einer der inoffiziellen Nationalhymnen der USA.
Der Satz In God we trust leitet sich her aus der Nationalhymne, The Star-Spangled Banner, in der es in der Schlussstrophe heißt: And this be our motto: in God is our trust. Der Text der Hymne stammt von Francis Scott Key (Urgroßonkel des Schriftstellers Francis Scott Fitzgerald), der ihn 1814 schrieb, um seiner Freude Ausdruck zu geben, dass die Amerikaner 1812 den Angriff der Briten auf Ford McHenry bei Baltimore erfolgreich abgewehrt hatten. In God we trust steht auf Beschluss des Kongresses seit 1864 als Motto auf dem Münzgeld der USA und seit 1955 auch auf dem Papiergeld.
Die Wendung under God bildet den Schluss des Treuegelöbnisses (Pledge of Allegiance), dem Ritual, mit dem Amerikaner meist bei öffentlichen Veranstaltungen ihr Loyalität gegenüber der Nation und der sie repräsentierenden Flagge bekunden. Formuliert wurde das Gelöbnis 1887 von Colonel George Balch, später von Francis Bellamy 1892 revidiert und vom Kongress 1942 formell als Pledge of Allegiance angenommen. Die Schlussworte under God wurden allerdings erst 1954 auf Bewirken religiöser Organisationen und mit enthusiastischer Zustimmung des Präsidenten Eisenhower hinzugefügt. Es geschah anlässlich einer Feier von Abraham Lincolns Geburtstag, der 1863 in seiner berühmten Gettysburg Address diese Worte verwendete. Ein anderer Grund mag gewesen sein, dass man zur damaligen Zeit – es herrschte der Kalte Krieg – ein Zeichen setzen wollte: das fromme Amerika gegen den gottlosen Kommunismus.
Immer wieder gab es in den vergangenen Jahrzehnten Proteste gegen die Einbeziehung des Namens Gottes in staatlichen Proklamationen. Vor allem richtete sich der Widerstand gegen den Pledge of Allegiance, der in den meisten Schulen vor Unterricht von den Kindern gemeinsam geleistet wird. Während keine individuelle Verpflichtung zur Teilnahme besteht, sehen atheistische Eltern die Gefahr, dass ihr Kind einem in ihren Augen schädlichen Einfluss ausgesetzt ist, wenn es sich nicht dem kollektiven Druck entziehen kann. Sie berufen sich bei Klagen vor Gericht auf den ersten Zusatzartikel zur Verfassung der USA von 1791, der dem Kongress verbietet, Gesetze zu verabschieden, die die Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und das Petitionsrecht einschränken. Die Kläger argumentierten, dass die USA eine multikulturelle Gesellschaft seien, in der es viele unterschiedliche Religionen gäbe und in der man auch das Recht auf Religionslosigkeit habe. Der Treueeid aber bevorzuge unrechtmäßigerweise den Monotheismus. Die Klage wurde in letzter Instanz abgewiesen mit der Begründung, die Worte under God seien „zeremonieller und patriotischer Natur“, und im Übrigen sei die Teilnahme am Schwören des Treueeids freiwillig. Damit haben die konservativen Christen noch einmal einen Erfolg errungen – vor Gericht. In der Gesellschaft aber lebte der Widerspruchsgeist gegen die Manifestationen religiöser Inhalte weiter.
In den letzten Jahren ist die Zahl der sich als Christen bezeichnenden Amerikaner zurückgegangen, aber noch sind es 70 Prozent, die christlichen Kirchen angehören. Von ihnen sind über 40 Prozent protestantisch. Davon gehören über die Hälfte, nämlich 25 Prozent, zu den Evangelikalen, also jener Gruppe, die fundamentalistisch die Aussagen der Bibel im wörtlichen Sinne versteht (Pew Research Center). Von großer Bedeutung ist ihr Einfluss auf die Politik der USA. Ihr moralischer Eifer erkämpfte in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhundert die Prohibition, die Zeit des Alkoholverbots, das zwar für alle galt, aber eigentlich dem Zwecke dienen sollte, die verstärkt einwandernden Iren und Italiener, die nicht nur gern tranken, sondern außerdem auch katholisch waren, zu disziplinieren. Später hielten viele John F. Kennedy, einen Katholiken, nicht geeignet für das Amt eines Präsidenten. Neben ihren xenophoben Tendenzen verfolgten die Evangelikalen aber durchaus auch Bestrebungen, die zur Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse beitrugen. Abschaffung der Kinderarbeit, Frauenrechte, Bürgerechte für Afro-Amerikaner (Civil Rights Act), Präsident Johnsons „Kampf gegen Armut“ (war against poverty) – alle diese Bewegungen erfreuten sich der Unterstützung durch die Evangelikalen.
Waren die Evangelikalen bis zu Beginn der 80er Jahre überwiegend Wähler der Demokratischen Partei, änderte sich dies mit der Präsidentschaft Reagans, einem Republikaner. Seit seiner Amtszeit errangen gesellschaftliche Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Homosexualität und Schulgebet höchste Aktualität und werden seitdem leidenschaftlich und kontrovers diskutiert. In der politischen und moralischen Bewertung dieser Probleme gibt es völlige Übereinstimmung zwischen der konservativen Republikanischen Partei und den Evangelikalen, und diese gehören heute zum treuesten Wählerstamm der Republikanischen Partei. Um es kurz zusammenzufassen: Die konservativen Republikaner und ihre evangelikalen Anhänger sind kompromisslos gegen Schwangerschaftsabbruch, gleichgeschlechtliche Ehen und gegen die Elimination christlicher Elemente und Symbole aus dem öffentlichen Leben. Das mediale Sprachrohr der Konservativen, Fox News, hat es sich zur Aufgabe gemacht, keine Rücksicht auf Nicht-Christen zu nehmen und den durch Political Correctness sanktionierten Feiertagswunsch Happy Holidays wieder zu ersetzen durch das gute alte Merry Christmas, denn schließlich gäbe es ohne Christus keine Weihnacht. Wirklich durchgesetzt hat sich diese Werbeaktion aber nicht, weil kommerzielle Überlegungen doch eher die Einhaltung der Political Correctness in einer multi-religiösen Gesellschaft empfehlen. So verdrängt die zunehmende Säkularisierung immer mehr die religiösen Symbole aus dem öffentlichen Leben.
Im Schuldistrikt Haddon Heights in New Jersey war es üblich, dass die Schüler vor Unterrichtsbeginn gemeinsam den Pledge of Allegiance sprachen und dann noch den Satz hinzufügten, mit dem Präsidenten meist ihre Reden beenden: God bless America. Im Dezember 2015 erhielt der Schuldistrikt einen Brief von der American Civil Liberties Union (ACLU) mit der Warnung, dass das morgendliche Ritual gegen die Verfassung verstoße. Die 1920 gegründete ACLU ist eine mächtige liberale Organisation, die sich die Verteidigung der Bürgerrechte zur Aufgabe gemacht hat und Beschränkung von Meinungsfreiheit und Diskriminierung mit allen Mitteln, oft mit gerichtlichen Prozessen, bekämpft und damit zum Feindbild der Konservativen geworden ist. Der Schuldistrikt hätte sich verteidigen können, hätte sagen können, dass „Gott“ hier nicht den spezifischen Gott der Bibel bedeutet, sondern Gott im Sinne eines Schöpfers, eines „Creators“, wie Jefferson in der Unabhängigkeitserklärung formuliert hat. Die beanstandete Aussage solle nichts anderes bestätigen als dass Amerika an eine höhere Gewalt glaubt und nicht an ein Nichts. Doch die Drohung der ACLU genügte: God bless America war ab sofort nicht mehr Teil des morgendlichen Rituals. Die Schul-Administration war eingeschüchtert und fürchtete die Kosten für lange gerichtliche Auseinandersetzungen mit der ACLU.
Die Verdrängung der religiösen Symbole aus dem öffentlichen Leben signalisiert dem christlichen Teil Amerikas die Botschaft: Das alte Wertsystem bricht zusammen. Diese Botschaft ließ Mike Huckabee, ein Southern-Baptist-Pastor und Kandidat für die Präsidentschaft schon 2008 in den Reden seiner Wahlkampagne immer wieder anklingen. Er warnte vor fremden Einflüssen, dem radikalen Islam und dem Zusammenstoß der Kulturen, gelobte, den illegalen Immigranten keine Amnestie zu gewähren und sah in der Toleranz gegenüber Homosexualität den Kulturverfall Amerikas. Rick Santorum, ein anderer, ebenfalls erzkonservativer Präsidentschaftskandidat, versprach, einen Zaun entlang der mexikanischen Grenze zu bauen und warnte, dass die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe der von Gott gestifteten Ehe widerspräche und schließlich zur Legalisierung der Polygamie führen würde. Die republikanischen Präsidentschaftskandidaten in diesem Jahr wollen mit denselben Themen um die Stimmen der Evangelikalen werben. Auch sie sehen Amerika von vielen Seiten bedroht – von mexikanischen Einwanderern, radikalen Islamisten, syrischen Flüchtlingen, Präsident Obama und anderen liberalen Kräften. Schließlich glauben 43 Prozent aller Republikaner, dass Obama ein geheimer Muslim ist und deswegen Muslime den Christen vorzieht.
„We must take our country back“ und „We will make America great again“ sind die Schlachtrufe und das Versprechen, mit dem Donald Trump, der Präsidentschaftskandidat 2016 seinen Wahlkampf führt. Als konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele verspricht er, allen Muslimen die Einreise in die USA zu verbieten und die Grenze zu Mexiko nicht mit einem Zaun, sondern mit einer Mauer zu sichern, die nicht nur sehr hoch sein, sondern außerdem von Mexiko bezahlt werden soll. Illegale Einwanderer will er ausweisen, ihnen aber die Möglichkeit zugestehen, später legale Wiedereinwanderung zu beantragen. Sein noch radikalerer republikanischer Konkurrent, Ted Cruz, will die Deportation aller illegaler Immigranten veranlassen, ohne sie je wieder in die USA zu zulassen. Beide Kandidaten werben erfolgreich um die Stimmen der Evangelikalen, d.h. für die Millionen Menschen, die sich Christen nennen und die Bibel zur Basis ihres Wertsystems gemacht haben. Es scheint, als hätten diese die Bergpredigt vergessen. Er scheint auch, dass sie bereit sind, sich über traditionelle Moralbegriffe, die noch vor kurzem hochgehalten wurden, hinwegzusetzen. Denn ihr in den bisherigen Vorwahlen erfolgreichster Kandidat, Donald Trump, hat zwei Ehescheidungen hinter sich und hat inzwischen die dritte Ehefrau. So etwas war früher einmal für die Frommen der Gipfel der Sündhaftigkeit.
Xenophobie, Angst vor Überfremdung, Angst vor dem Wachsen der Minoritäten, Angst vor dem Entstehen einer veränderten Gesellschaft mit einem neuen Wertesystem, Wut über eine liberale Politik und demokratische Politiker, die diese Entwicklung nicht aufhalten wollen – all dies sínd Gründe, warum Evangelikale und andere konservative Christen ihre christlichen Werte bei politischen Wahlen ignorieren. Sie wollen ihr Amerika zurücknehmen – „we want to take our country back“. Von wem wollen sie es zurücknehmen? Anhänger der rassistischen White Supremacy-Bewegung (Vormachtstellung der Weißen) wissen es genau: von Schwarzen, Juden, Einwanderen und Homosexuellen. Das sagten sie früher. Heute kommt ein neues Feindbild hinzu: Muslime. Der ehemalige Anführer des Ku-Klux-Klan, einer 1865 gegründeten Organisation, die Weiße als die privilegierte Rasse ansieht, hat Trump seine Unterstützung zugesagt. Der Klan soll heute zwar nur noch 5000 offizielle Mitglieder haben, aber seine Ideen leben in abgeschwächter Form wie hartnäckige Viren noch immer in der Gesellschaft.
Die Tatsache, dass sich die selbsternannten Vertreter von Moral und christlichen Werten, die Evangelikalen, so vorbehaltlos mit einer politischen Partei identifizieren und sie als Wähler unterstützen, ist ein weiterer Schritt Amerikas in eine säkularisierte Welt. Es scheint, als bliebe Gott und christliche Nächstenliebe selbst bei den Evangelikalen auf der Strecke. Nationale politische Themen erscheinen ihnen wichtiger als die Aufrechterhaltung der moralischen Ordnung eines von „Gott gesegneten“ Amerikas. Dieses Amerika soll es früher einmal gegeben haben, so glauben sie.
„We will make America great again“, das zweite Versprechen Trumps, appelliert an einen chauvinistischen Patriotismus. Die Gefahr ist, dass er ausarten könnte in einen übertriebenen Nationalismus, wie er augenblicklich wieder in Europa im Wachsen ist. Dort bedroht er die mühsam erkämpfte Einheit Europas. In Amerika könnte er eine Bedrohung für die ganze Welt werden.