Faschismus in Amerika – ist denn so was wirklich möglich?

Als Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, erfasste seine Anhänger, von denen die meisten Republikaner waren, ein Freudentaumel. Der andere große Teil der Bevölkerung, der ihn nicht gewählt hatte, war zutiefst schockiert.. Das Unvorhergesehene war passiert. Trumps Gegner konnten es nicht fassen: Ein als Präsident sowohl wie als Mensch völlig inakzeptabler Mann sollte an der Spitze des Landes stehen und seine Geschicke leiten. Er, der im Wahlkampf zwischen Beleidigungen, Beschimpfungen und Lügen unter anderem versprach, die USA hermetisch von Mexiko durch eine Mauer abzuschirmen, Muslimen die Einreise in die USA zu verweigern, Folter wieder einzuführen, Pressefreiheit einzuschränken, bestehende internationale Verträge zu revidieren oder zu kündigen – er, der Putin als starken Führer bewundert, soll für die kommenden vier Jahre Präsident der USA sein. Auf seiner Dankeschön-Tour in Mobile, Alabama, versichert er seinen Zuhörern: „Es werden Dinge passieren, die ihr in den letzten Jahrzehnten nicht gesehen habt.“ Seine Anhänger jubelten, seinen Gegnern läuft es bei diesen Worten kalt den Rücken hinunter.

Ein Leserbrief in einer lokalen Zeitung gibt beredt Auskunft darüber, was Trumps Anhänger von der neuen Bewegung, dem „Trumpismus“ erwarten:

„Die große Mehrheit der Amerikaner, weiße Christen, deren Vorfahren die größte Nation gegründet haben, die die Welt je gesehen hat, hat endlich entschieden, nicht länger mehr marginalisiert und zum Schweigen verurteilt zu sein. Sie riefen laut, dass sie politische Korrektheit und die globalistische Agenda satt hätten, die unser großes Land zerstören. Ihre Gebete wurden erhört. Die Wähler haben es überzeugend abgelehnt, ein weiterer gescheiterter sozialistischer Staat in der Welt zu werden. Jetzt hat Amerika die Chance, wieder exzeptionell und groß zu werden.“

(Robert Strohaver, Naples Daily News, 8.12.16).

Das Southern Poverty Law Center (SPLC) hat einen Bericht über die plötzliche Flut von hate crimes(Ausschreitungen motiviert durch hasserfüllte Vorurteile) veröffentlicht, die zwischen dem 9. November, dem Wahltag, und den folgenden vier Wochen stattgefunden haben und über die berichtet wurde. Es gab 315 Vorfälle gegen Immigranten, 221 gegen Schwarze, 112 gegen Muslime. 109 gegen sexuelle Minderheiten, 45 gegen Frauen, 33 gegen Juden. Es ist, als wäre nach dem Wahlsieg Trumps für weiße christliche Amerikaner ein Damm gebrochen, der ihnen die Freiheit gab, all die aufgestauten Ressentiments ohne Hemmungen auszuleben. Schulen berichten von dem verheerenden Effekt, den Trumps Reden und schamloses Verhalten auf Kinder ausüben. Jungen grapschen Mädchen in Trumpscher Manier; Kinder sagen zu hispanischen Kindern: Trump hat gewonnen, jetzt musst du zurück nach Mexiko; auf der Toilette steht geschrieben: Bringt den Nigger um.

Ist diese von Trump auf seinen Wahlkampf-Rallies vorgeführte Verrohung der Sitten der erste Schritt zur Realisierung seines Versprechens „make America great again“? Oder ist es der symptomatische Anfang von dem, was Trump ebenfalls prognostiziert hat als er sagte: „Es werden Dinge passieren, die ihr in den letzten Jahrzehnten nicht gesehen habt.“ Welche Dinge könnte der Trumpismus, außer den im Wahlkampf angesagten, sonst noch hervorbringen?.

Wenn Faschismus nach Amerika kommt, wird er in eine amerikanische Flagge gewickelt sein und ein Kreuz tragen. (When Fascism comes to America, it will be wrapped in an American flag and carrying a cross.) Ob der Autor dieses Spruches der radikale Populist Huey Long oder der Schriftsteller Sinclair Lewis war, ist nicht geklärt. Klar ist jedoch seine Aussage: Das spezifisch Amerikanische eines sich in den USA entwickelnden Faschismus läge in der Verbindung von Patriotismus und Religion.

Seit Trumps Bewerbung um das Präsidentenamt ist in vielen Presseorganen wie z.B. The New York Times, Slate, Vanity Fair, National Review „Faschismus“ zum Debattenthema geworden. Schwierig ist die Bestimmung des Begriffs. Ist Trump ein Faschist oder ist er es nicht? „Fascist is as fascist does“. Darüber ist man sich einig: Erst an seinen Taten erkennt man den Faschisten. Dann aber könnte es für die Anti-Faschisten zu spät sein. Jahrelang waren sie sehr effektiv in der Verhinderung von Treffen weißer Nationalisten in der Öffentlichkeit. Angesehene Etablissements haben Nazis einfach keinen Raum zur Verfügung gestellt. Das hat sich geändert. Selbst der Ku Klux Klan und die Alt-Right treten jetzt öffentlich und selbstbewusst auf. Schließlich ist Steve Bannon, Herausgeber der Breitbart News, dem Sprachrohr der Alt-Right, die sich White Supremacy (weiße Vormacht) zum Ziel gesetzt hat und im Ruf steht, nazistische und antisemitische Tendenzen zu verfolgen, von Trump zu seinem wichtigsten Berater ernannt worden. Nazis wittern Morgenluft seit der Trumpismus Amerika erfasst hat.

Zwar ist Trumpismus ausgelöst worden von Donald Trump, doch er ist als Bewegung nicht mehr nur an seine Person gebunden. Er verkörpert nämlich keine klaren politischen Vorstellungen, nicht einmal eine definierbare Ideologie. Trumpismus wird bestimmt von einer Haltung brutaler Gewalt und Verachtung gegenüber traditioneller demokratischer Kultur und angefeuert von Ressentiments, Hass, Ärger und der Angst derer, die sich als Stiefkinder der Gesellschaft sehen. Die Gefahr, die von solchen entfesselten populären, pseudopatriotischen Gefühlen ausgeht, ist, dass eine Mobokratie, eine Herrschaft des Mobs, entstehen kann.

Schriftsteller haben die Gabe, Möglichkeiten in eine fiktive Realität zu verwandeln. Den Stoff dazu finden sie meist in ihrer Gegenwart, ihrer Gesellschaft und in ihrem privaten Umfeld. Sinclair Lewis veröffentlichte 1935 einen Roman mit dem Titel It Can’t Happen Here (Deutscher Titel: Das ist bei uns nicht möglich). Was der Titel des Romans ironisch postuliert, nämlich die Unmöglichkeit eines amerikanischen Faschismus, wird im Roman widerlegt mit der Schilderung des fiktiven Ausbruchs von Faschismus im Heimatland der Demokratie. Der Anführer der Bewegung ist Buzz Windrip. Er ist ein populistischer Demagoge, der verspricht, „ Amerika wieder ein stolzes und reiches Land zu machen“. Als „inspirierter Errater, welche politische Doktrinen die Menschen mögen“, als Superpatriot, als volkstümlicher Opportunist, als Meister der Medienmanipulation, der sich über Wahrheiten hinwegsetzt, gewinnt er 1936 die Präsidentschaftswahl. Als Präsident schränkt er den Einflusses des Kongresses und der Rechte der Frauen und Minderheiten ein. Als sich Protest erhebt, wird er niedergeschlagen mit Hilfe der paramilitärischen „Minute Men“. Politische Gegner werden in Konzentrationslagern gefangen gehalten.

Lewis schrieb seinen Roman zu einer Zeit, in der in Europa faschistische Anführer wie Hitler, Mussolini und Franco die Macht an sich rissen und ihre autokratischen Systeme errichteten. Ein anderer, noch lebender Autor, Philip Roth, hat 2004 einen Roman veröffentlicht mit dem Titel The Plot Against America (Deutscher Buchtitel: Verschwörung gegen Amerika). Den zeitlichen Hintergrund bieten auch hier die 30-er Jahre. Roth, selber Jude, schildert in ihm das Leben der Familie Roth während der Präsidentschaft Charles Lindberghs, der 1940 die Wahl gegen Franklin D. Roosevelt gewonnen hat. Deutlich wird hier die Verknüpfung von realer Wirklichkeit und Fiktion. Der Erzähler und zentrale Figur des Romans ist Philip Roth. Die Namensgleichheit mit dem Autor verweist auf reales Geschehen. Lindbergh dagegen, berühmt geworden durch seine tollkühnen Flug über den Atlantik, gehört zwar zur amerikanischen Geschichte, doch seine Präsidentschaft ist eine reine Erfindung Roths. Was Roth dazu bewegt hat, Lindbergh zum amerikanischen Präsidenten zu machen, ist die Tatsache, dass Lindbergh ein glühender Verehrer Adolf Hitlers war. Als solcher billigt er auch dessen Eroberungskriege in Europa: „Adolf Hitler hat sich zum Agenten der weltgrößten Sicherung gegen die Ausbreitung des Kommunismus gemacht“ (83). In Verträgen mit Deutschland und Japan sichert er diesen Ländern zu, dass Amerika nichts gegen ihre Expansionspläne unternehmen werde und ihren Gegnern nicht helfen werde. Den Amerikanern verspricht er, dass kein amerikanischer Soldat im Krieg sterben werde. Der junge Philip fragt seinen Vater, was dies bedeutet. Die Antwort des Vaters: „Es bedeutet, dass wir unseren Freunden den Rücken kehren. Es bedeutet, dass wir Freundschaft schließen mit ihren Feinden…Es bedeutet, dass alles, wofür Amerika steht, zerstört wird“ (S. 84). Seine Berühmtheit als Flieger, seine Versprechen und leutselige Popularität lassen Lindbergh die Wahl gewinnen. Damit beginnt die Leidenszeit der jüdischen Familie Roth und aller Juden Amerikas. Auf Grund eines Regierungsprogramms werden jüdische Jungen aus den Familien geholt und in den Süden oder Mittleren Westen geschickt, damit sie dort, fern von ihrem jüdischen Umfeld, „amerikanisiert“ werden. Der Bruder des jungen Philip wird auf eine Farm in Kentucky geschickt, wo er tatsächlich – zum Leidwesen seiner Eltern – Ressentiments gegen seine jüdische Herkunft entwickelt. Nach seiner Rückkehr nennt er seine Familie „Ghetto-Juden“. Ein anderes Regierungsprogramm dient der Relokalisierung ganzer jüdischer Familien aus von Juden bewohnten Gegenden in Gegenden, wo es keine Juden gibt. Das ganze Land ist erfasst von Antisemistismus. Ku Kux Klan Mitglieder terrorisieren die Juden, Straßenkämpfe brechen aus. Wenn Lindbergh auf geheimnisvolle Weise verschwindet, plädiert seine Frau dafür, die Gewalt auf den Straßen zu beenden. Als man Lindbergh nicht finden kann, bewirbt sich Roosevelt erneut und wird wieder gewählt. Monate später attackieren die Japaner Pearl Harbor und Amerika tritt in den Krieg ein und der ganze Spuk ist vorüber.

Wer die Romane heute liest, kann nicht umhin, gewisse Ähnlichkeiten zur heutigen Situation zu erkennen. Die autokratischen Züge Trumps zeigen sich in seine Bewunderung starker Führer wie Putin, seine Bereitschaft Gewalt und Folter anzuwenden, seine fremdenfeindliche und konspirative Weltanschauung, seine Weigerung Kritik zu tolerieren, seine Lust, Gegner zu diffamieren und seine Absicht, die Freiheit der Presse einzuschränken,Was in den 30-er Jahren die Juden waren, könnten heute die Muslime sei. Wie darf man anders die Forderung Trumps verstehen, alle Muslime in den USA zwecks Überwachung zwangsweise zu registrieren.

Es bereitet vielen Amerikanern Sorge, dass auf die demokratischen und friedlichen Jahre der Obama-Administration etwas folgt, was der Tradition der am amerikanischen Demokratie radikal widerspricht. Ist es möglich, dass so etwas wirklich passiert – in diesem Land Amerika? Trumps Anhänger wiegeln ab: Trump habe vieles gesagt, um die Wahl zu gewinnen. Aber so schlimm werde es nicht werden. Vielleicht haben sie Recht. Vielleicht aber wird alles noch viel schlimmer –

Sinclair Lewis, It Can’t Happen Here, 1935 (Signet Classic)

Philip Roth, The Plot Against America, 2004 (Vintage Book)