Kulturkampf in Amerika: Konservative gegen Progressive, Republikaner gegen Demokraten

Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA und Hillary Clintons Niederlage haben deutlich gezeigt, dass Amerika ein geteiltes Land ist, besser noch, dass sich in der amerikanischen Gesellschaft zwei Ideologien unversöhnlich gegenüberstehen. Die von den Demokraten Clinton und Obama vertretene Ideologie war diesmal unterlegen und der offizielle Übergang von der Obama-Administration zur der des republikanischen Wahlsiegers kann trotz des harmonischen Prozederes, das amerikanischer Tradition entspricht, nicht über die Kluft hinwegtäuschen.

Auf eine vereinfachte Formel gebracht lässt sich sagen, dass in Amerika seit Jahrzehnten ein Kulturkampf herrscht, in dem konservative und progressive Ideologien sich gegenüberstehen. Viel wurde zu diesem Thema schon geschrieben, aber ein kürzlich erschienenes Buch beschreibt noch einmal in Schwarz-Weiß-Manier die gegensätzlichen Positionen von Konservativen und Progressiven. Dass R.Lynn Wilson, der Verfasser sich zu den Konservativen zählt, zeigt schon der Buchtitel: One American’s Opinion: For Patriots Who Love Their Country, 2016 ( Naples Daily News, 9.11.16).

Wilson stellt fest, dass in den letzten acht Jahren Amerika geteilt worden sei in den patriotischen Teil der Gesellschaft, die die Prinzipien der Gründerväter, wie sie in der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung formuliert sind, hochhalten, und den Progressiven, die der amerikanischen Gesellschaft eine „marxistisch geprägte Ideologie“ aufdrängen wollen. (Es erhebt sich hier die Frage, ob Wilson nicht weiß, was Marxismus ist, oder ob er mit dieser Unterstellung die Obamasche Politik während dessen acht Amtsjahren diffamieren will.)

Die ersten Einwanderer seien nach Amerika gekommen, um der religiösen Verfolgung in Europa zu entgehen und um bessere Möglichkeiten (better opportunity) zu finden. Diese historische Gegebenheit würde von der progressiven Bewegung ignoriert, indem sie religiöse Freiheit gering schätze, die Gesellschaft unterdrücke und Chancen zerstöre. Gleichzeitig erhebe sie den Anspruch, eine harmonischere, fairere und erfolgreichere Gesellschaft zu schaffen. Dieses Vorgehen solle über das wahre Ziel der Progressiven hinwegtäuschen. Dieses wahre Ziel sei nämlich „Macht und Kontrolle“. Allerdings würden traditionelle amerikanische Werte und die Verfassung den „progressiven Marxisten“ nicht erlauben, ihre Ziele zu erreichen. Daher seien sie gezwungen, das traditionelle Amerika zu verändern. Die Basis der traditionellen amerikanischen Werte sei der individuelle Erfolg. Sie garantierten gleiches Recht für alle und gäben damit dem Individuum die Gelegenheit, alle das zu erreichen, was es nur erreichen will.

Marx habe eine Ideologie propagiert, die sich über Sozialismus hin zum Kommunismus entwickeln würde. Die neu entstehende Gesellschaft beruhe auf der ideologischen Philosophie, dass alle Mitglieder der Gesellschaft zu gleichen Teilen an der Wirtschaftsleistung beteiligt seien und keine unterschiedlichen sozialen Klassen beständen.

Wilson behauptet, er sei viel in der Welt gereist und habe viele Länder kennen gelernt, die sozialistisch oder kommunistisch regiert seien. Dabei kam er zu folgender Erkenntnis: „Es ist überwältigend offensichtlich, dass die traditionelle amerikanische Ideologie die größtmöglichen Chancen, die größte Freiheit und den besten Lebensstandard auf dem Planeten bietet.“ Eine solche Aussage ist konservativer Patriotismus pur und typisch für die Republikanische Partei.

Nach dieser Erkenntnis liegt natürlich die Frage nahe, und Wilson stellt sie, warum Amerika es den Progressiven erlaube, diese große amerikanische Tradition abzuschaffen – wo doch die marxistische Ideologie nichts anderes sei als ein „utopischer Irrtum“. Die Antwort: Amerikas Erfolg sei die Ursache für diese Fehlentwicklung. Durch ihn sei die amerikanische Gesellschaft verwöhnt und aufnahmebereit geworden für das Versprechen der marxistischen Utopie, mit dem die Progressiven ihr Ziel erreichen wollen. Wegen des historischen Erfolgs des traditionellen Amerikas wird die Gesellschaft heute dominiert und korrumpiert von „Übermaß und Freizügigkeit“ (excess and permissiveness).

Besonders gälte dies für die amerikanischen Jugendlichen, die das, was sie haben für selbstverständlich hielten und erwarteten, dass ihnen „gegeben“ wird, statt dass sie danach „streben“. In diesem Szenario ständen sich Anspruch und harte Arbeit, Übermaß und Genügsamkeit gegenüber. Bei diesem Sachverhalt sei nicht überraschend, dass laut einer Umfrage 45 Prozent der um die Jahrtausendwende Geborenen einen Sozialisten, 20 Prozent einen Kommunisten wählen würden.

Konservative zeigen sich vor allem auch schockiert über den Verfall der Sitten, der sich für sie vor allem in der sexuellen Moral zeige. Da evangelikale Wähler fast ausschließlich die Republikanische Partei wählen und von ihr erwarten, dass fundamentale christliche Gebote eingehalten werden, ist es natürlich, dass die Republikaner die Bibel zitieren, wenn sie die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner verhindern wollen. Ein anderes Reizthema ist der Schwangerschaftsabbruch. Für Konservative ein absolutes Tabu. Zu beiden Themen vertreten die säkular orientierten Demokraten eine tolerante Haltung und billigen dem Staat nicht das Recht zu, sich in individuelle ethische Entscheidungen seiner Bürger einzumischen.

Wohin diese Tendenz führen und was sie für Amerika bedeuten würde, das sagt Wilson in seiner Mahnung: „Wir dürfen niemals vergessen, dass in der Geschichte alle großen Gesellschaften sich im Lauf der Zeit selbst zerstört haben wegen Übermaß und moralischer Fäulnis.“ Dieses Schicksal wollen die Konservativen mit allen Mitteln verhindern.

In ihren Anfängen war die Republikanische Parte eine eher liberale Partei. Gegründet wurde sie 1854 von Gegnern der Sklaverei, deren Abschaffung sie sich als wichtigstes Ziel gesetzt hatte. Abraham Lincoln wurde zehn Jahre nach der Gründung der erste republikanische Präsident. Ein schrecklicher Bürgerkrieg, der nicht ausschließlich ein Krieg der Nordstaaten gegen die Südstaaten war, sondern wesentlich auch ein Krieg zwischen republikanischer und demokratischer Partei, beendete die Sklaverei. Gewonnen hatte nicht nur die Nordstaaten, sondern auch die republikanische Partei in ihrem Kampf gegen die Sklaverei.

Nach Beendigung des Bürgerkriegs gewann die unterlegene Demokratische Partei schnell wieder die Mehrheit in den Regierungen der Südstaaten. Dies gelang ihr mit Hilfe paramilitärischer Gruppen wie die White League und die Red Shirts, die die republikanischen Amtsinhaber vertrieben und die Schwarzen durch Terror vom Wählen abhielten. Auch der berüchtigte Ku Klux Klan entstand gleich nach dem Bürgerkrieg, als die sogenannte Reconstruction begann. Über ihn urteilt der angesehene Historiker Eric Foner: „Der Klan war die militärische Kraft, die den Interessen der Demokratischen Partei, der Klasse der Pflanzer, und all jener diente, die die weiße Vorherrschaft wieder herstellen wollten. Er zielte auf die Zerstörung der Infrastruktur der Republikanischen Partei … und die Wiederherstellung der rassischen Unterordnung.“ (Eric Foner, A Short History of Reconstruction).

So konnte die demokratische Partei überall im Süden die berüchtigten rassistischen Segregation-Gesetze durchsetzen. Jim Crow– Gesetze, so wurden sie genannt, bedeuteten die Diskriminierung der Schwarzen auf allen Gebieten. Die Rassentrennung fand statt in Schulen, Restaurants, Toiletten, Verkehrsmitteln, usw. Präsident Woodrow Wilson, Gewinner des Nobelfriedenspreises und Mitbegründer des Völkerbunds, versprach vor seiner Wahl den Schwarzen, sich für die Interessen ihrer Rasse einzusetzen. Nach seiner Wahl entließ er schwarze Aufseher, die schon vorher zu öffentlichen Ämtern befördert waren und ersetzte sie durch weiße. Auch beim Militär herrschte in beiden Weltkriegen die Trennung von schwarzen und weißen Soldaten. Diese gesetzlich begründete Vorherrschaft der Weißen dauerte fast hundert Jahre. Sie endete 1964 mit Präsident Johnsons Unterschrift unter den Civil Rights Act.

Viele Sünden des frühen Amerika, wie etwa ihre Verteidigung der Sklaverei, gehen auf das Konto der Demokratischen Partei. Gegründet wurde sie um 1828 von Andrew Jackson, der von 1829 bis 1837 als der siebte amerikanische Präsident amtierte. Er hatte den Ruf des Indianerhassers. Der Indian Removal Act von 1830 wurde von ihm unterstützt und führte zu der gewaltsamen Vertreibung der Indianer von ihrem angestammten Land. Zum „Pfad der Tränen“ (Trail of Tears) wurde die grausame Deportation der Indianer aus dem fruchtbaren südöstlichen Waldland der USA ins karge Territorium im heutigen Oklahoma. Der Umgang der von der Demokratischen Partei dominierten Regierung mit den Indianern war kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Partei.

Die moderne Demokratische Partei hat ihre Vergangenheit hinter sich gelassen. Sie ist heute die Partei, die die Überzeugung vertritt, dass die gerechte Verteilung der Chancen, der Schutz und die Unterstützung der gesellschaftlich Benachteiligten und Minderheiten sehr wohl Aufgabe der Regierung ist. Wettbewerb wird als Motor der Gesellschaft wohl akzeptiert, aber im Rahmen des Prinzips Solidarität. Die Partei wird oft bezeichnet als die Party of Big Government. Die neue Identität der Partei rückt sie weltanschaulich in die linke Hälfte des Parteienspektrums.

Ebenfalls verändert hat sich auch die Republikanische Partei. Die ehemals liberale Partei ist zur Partei der streng Konservativen geworden, zur Party of Small Government. Interventionen der Regierung in der Gesellschaft stehen diese skeptisch gegenüber, da sie in ihnen Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Bürger und eine Behinderung des freien Wettbewerbs der Unternehmer sehen. Daher streben sie danach, die Macht der Regierung so gering wie möglich zu halten. Präsident Reagan gab dieser Überzeugung schlagtreffend Ausdruck: “Eine Regierung löst kein Problem, sie ist das Problem.“

Die Robber Baron Era, die Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg, in der skrupellose Geschäftsleute zu ungeheuerem Reichtum kamen, endete mit der ökonomischen Krise, die 1893 begann. Aktienpreise fielen, Banken mussten schließen, Arbeitslosigkeit in Pennsylvania erreichte 25 Prozent. Weizenfarmer im Westen und arme Baumwollfarmer im Süden gerieten in existenzielle Not, und in den Städten hungerten die Menschen. Vor diesem Hintergrund entstanden soziale Bewegungen, Arbeiter und Farmer organisierten sich – es begann die Progressive Era.

Präsident Teddy Roosevelt, ein sozial-liberaler Republikaner entwarf seinen New Nationalism Plan. Sein Argument war, dass nur eine starke Regierung die Wohlfahrt und Eigentumsrechte der Menschen schützen könne, wobei Wohlfahrt wichtiger sei als Eigentumsrechte. Als er von seiner Partei nicht mehr als Präsidentschaftskandidat für die Wahl von 1912 nominiert wurde, gründete er eine dritte Partei, die Progressive Party. Punkte seines Parteiprogramms waren u.a. ein nationaler Gesundheitsdients, Sozialversicherung für Arbeitslose, Alte und Behinderte, Minimumlohn für Frauen, Acht-Stunden-Arbeitstag und Erbschaftssteuer. Gewählt wurde Roosevelt nicht mehr. Die Partei löste sich ein paar Jahre später auf. Die meisten Mitglieder, einschließlich Roosevelts, kehrten in die Republikanische Partei zurück. Sie fühlten sich in der von Präsident Taft sehr konservativ geprägten Partei allerdings nicht wirklich heimisch, und als ehemalige Progressive wurden sie auch für keine Führungsposition nominiert. Immerhin war die Ausgangsbasis für eine progressive soziale Politik von Roosevelt geschaffen.

Es bedurfte einer anderen Krise, um die progressive Bewegung wieder zu beleben. Der Zusammenbruch der Börse in New York am 9. Oktober 1929 war ein Kollaps des Wirtschaftssystems, wie es ihn in der Geschichte der USA noch nicht gegeben hatte. Er leitete eine zehn Jahre anhaltende, weltweite Krise ein. Banken und Geschäfte mussten schließen, Fabriken entließen ihre Arbeiter, 15 Millionen Amerikaner wurden arbeitslos. Präsident Herbert Hoover, ein Republikaner, erkannte nicht den Ernst der Lage und glaubte als konservativer Patriot, dass amerikanische Charakterzüge wie Selbstvertrauen und Individualismus einen Weg aus der Not finden würden und es keiner staatlichen Maßnahmen bedürfe. Er irrte sich, die Not wuchs. Als der Demokrat Franklin Delano Roosevelt 1932 für die Präsidentschaft kandidierte, gewann er die Wahl mit dem Versprechen, staatliche Maßnahmen zur Überwindung der Krise einzuleiten. Sein Plan, der New Deal genannt wurde, bedeutete eine politische Revolution in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der USA. Die Regierung traf Maßnahmen, die kurzfristig Not lindern, die Wirtschaft beleben und langfristig Reformen einleiten sollten. Dazu gehörten Regulierug der Finanzmärkte und die Einführung von Sozialversicherungen. Der Social Security Act von 1935 begründete einen amerikanischen Sozialstaat, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Rentenversicherung, die von Arbeiter und Arbeitgeber anteilig bezahlt wird, Witwenrente, Arbeitslosenversicherung, Hilfen für Behinderte und alleinerziehende Mütter und weitere Sozialleistungen nach europäischem Vorbild.

Seit dem New Deal ist die soziale Komponente als wichtiges Element in allen Programmen der Demokratischen Partei verankert. Sie wurde damit zur Vertreterin einer arbeiterfreundlichen, liberalen Politik. Gleichzeitig etablierte sie damit die permanente Konfrontation mit der republikanischen Partei, die soziale Maßnahmen als Unterdrückung der individuellen Motivation zur Arbeit und als Einschränkung der unternehmerischen Freiheit ansieht. Noch heute gibt es in der Republikanischen Partei Mitglieder, die die Rentenversicherung, Social Security genannt, für eine Sünde gegen den amerikanischen Geist halten.

Es war Präsident Nixon, der die so genannte Southern Strategy anwendete, um traditionelle Demokraten aus dem Süden in seine Republikanische Partei zu locken. Er überzeugte sie davon, dass sie in der Republikanischen Partei besser aufgehoben seien, da auch diese Partei wie sie selbst ein Gegner der Civil Rights-Bewegung und der linken Vietnam-Krieg-Protestierer sei. Die Gleichberechtigung der Schwarzen und die Kritik der unpatriotischen Hippies an Amerikas Krieg verstieß gegen die Tradition der Southern Democrats, so dass viele von den fanatischeren Mitgliedern zu den Republikanern überliefen und damit das rassenfeindliche und rechte Element dieser Partei verstärkten. Die Demokratische Partei dagegen stellte sich nicht nur auf die Seite der Schwarzen, sie nahmen sich auch der Interessen weißer Minderheiten und Frauen an. Diese Haltung blieb bis heute integriert in das Parteiprogramm der Demokraten.

Alle vier Jahre formuliert die Demokratische Partei ihr Programm. Ein Blick auf das Programm von 2016 zeigt, wie sehr sie den sozialen, progressiven Ideen verpflichtet bleibt. Wichtige Punkte des Programms sind: Ausbau und Sicherung der Rentenversicherung (Social Security), der Rechte von Frauen (Schwangerschaftsabbruch), Rassen und sexuellen Minderheiten, Maßnahmen zur Beschaffung von Arbeitsplätzen, Steuererhöhungen für Reiche, usw.

Die Republikanische Partei, erfreut sich der Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses und sie hat mit Trump einen Präsidenten, der einen konservativen Richter für den neunköpfigen Obersten Gerichtshof ernennen kann. Sie hat damit so viel Macht, dass es den Demokraten schwer fallen wird, ihre politischen Ziele zu erreichen.

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