Donald Trump und deutsche Parallelen: Wut und Hass der „schweigenden Mehrheit“

„Wir hatten den Pöbel nicht ernst genommen. Aber er meinte es ernst. Und als er dann auch Ernst machte, erwachten wir aus unseren Illusionen und fanden uns in einem Alptraum wieder. Er wurde plakatiert…die Thesen wider den undeutschen Geist brüllten uns ins Gesicht. Von ausmerzen wurde gefaselt, von liberalen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben…“

So erinnert sich ein Protagonist in Klaus Modicks Roman Die Schatten der Ideen an das Aufkommen des Nationalsozialismus. Und er beantwortet die Frage: „Wo waren die Demokraten? Wenn sie sich nicht hinter verschlossenen Türen versteckten, standen sie abseits im Halbdunkel, den Hut tief im Gesicht, den Mantelkragen hochgeschlagen, fassungslos, ratlos, hilflos.“

Wiederholt sich dieser Vorgang in unseren Tagen? Man denke an Pegida. Warum sind Menschen, die gegen political correctness kämpfen und auf der Straße pöbeln, so empört darüber, dass man sie als „Pack“ bezeichnet? Politisch korrekt mag es nicht sein, aber hier ist es das einzig korrekte Wort – korrekt, weil es absolut zutreffend ist.

Nicht alle Menschen auf den Straßen sind Pöbler. Viele von ihnen sind anständige, biedere Bürger, die früher vielleicht CDU gewählt haben. Mitläufer nannte man solche Menschen nach 1945. Dass sie mit Pegida marschieren und AfD wählen, zeige, so heißt es, dass der Rechtspopulismus die bürgerliche Mitte erreicht hat. Nein, er hat sie nicht erreicht – sie trug ihn schon lange als latenten Bazillus in sich. Ungefähr 20 Prozent der Menschen in jeder Gesellschaft sollen diesen Bazillus in sich tragen. Das gilt nicht nur für Deutschland und andere europäische Ländern, es gilt auch für Amerika, wie die letzten Präsidentschaftswahlen gezeigt haben.

Das komplizierte amerikanische Wahlsystem machte es möglich, dass die Wahlmänner, das Electoral College, einen Mann gewählt haben, der nicht die Stimmen der Mehrheit der Wähler bekommen hat. Das heißt: Die Mehrheit hat Donald Trump nicht auf seiner Seite. Wer aber waren seine Wähler, und was waren ihre Gründe, einen Mann zu wählen, der sowohl in den Medien als auch in seiner eigenen Partei äußerst negativ bewertet wurde.

Das einzige Thema einer viel beachteten Rede, die der Republikaner Mitt Romney vor Hörern der Universität von Utah hielt, war die Warnung vor einer Präsidentschaft Trumps. Ohne politische Rücksichtnahme führte er ungeschminkt alle Gründe auf, warum Trump absolut ungeeignet für das Präsidentenamt sei. Er nannte ihn einen Aufschneider, Schwindler und Betrüger (phony, conman, fraud), der die amerikanische Öffentlichkeit zum Narren hielte. Seine Innenpolitik würde in die Rezession führen, und die Außenpolitik dieses Putin-Bewunderers würde Amerika und die Welt unsicherer machen. Was aber schlimmer sei als seine politischen Ziele, seien seine anti-demokratischen Tendenzen. Muslime und Mexikaner mache er zu Sündenböcken, die Freiheit der Presse wolle er einschränken, und die Folter wolle er wieder einführen. Charaktereigenschaften wie Rücksichtslosigkeit, Angeberei, Geldgier, Frauenfeindlichkeit und das theatralische Benehmen eines „Drittklässler“ haben alles andere als Vorbildcharakter. Wer würde wünschen, dass seine Kinder und Enkel sich benehmen würden wie Trump? Unehrlichkeit sei sein Kennzeichen („Dishonesty is Donald Trump’s hallmark“) und sollte er wirklich Präsident werden, würde Amerika aufhören das leuchtende Vorbild für die Welt zu sein – „would cease to be a shining city on a hill“. (Zitat von John Winthrop in einer Predigt vor den puritanischen Kolonisten, 1630, später öfter wiederholt, z.B. von den Präsidenten Kennedy und Reagan.)

Dieser so negativ beschriebene Mann ist nun doch zum Präsidenten gewählt worden. Romney scheint alle seine Vorwürfe vergessen zu haben seit er von Trump als Außenminister in Betracht gezogen wird. Das mindert aber in keiner Weise die Wahrheit seiner Beschreibung Trumps.

Viele von denen, die Trump gewählt haben, gestehen verschämt, dass sie ihn trotz all seiner Schwächen nur aus einem einzigen Grund gewählt hätten: Sie hätten seine Gegnerin für das größere Übel gehalten.

Dann gibt es aber auch noch jenen Teil der Wähler, die uneingeschränkt hinter Trump stehen, die voller Enthusiasmus und wilder Ausgelassenheit seine Rallies besuchten und dort, angefeuert von seinen Hasstiraden, mit Gebrüll und Handgreiflichkeiten Andersdenkende aus dem Saal schafften. Für sie ist das Großmaul, der Rüpler und Hassprediger ein Idol. „Kill Hillory!“ dröhnte ihr Schlachtruf. Erinnert er nicht an die Pegida Forderung „Merkel an den Galgen“? Trump selbst sagte, er könne es sich leisten auf der Fünften Avenue in New York jemanden tot zu schießen, ohne dass er deswegen seine Anhänger verlöre. Wer sind diese Anhänger, die ihm so kritiklos verfallen sind?

Das Feindbild für sie ist Obama. Während seiner zwei Amtszeiten ist so viel geschehen, was ihrem Weltbild zutiefst widerspricht. Obama hat die USA nicht mehr als Weltpolizist einsetzen wollen. Damit habe er Amerika als die dominierende Weltmacht abgeschafft. Trump dagegen verspricht, Amerika so aufzurüsten, dass die Welt wieder in Respekt vor Amerika erzittert.

Obama, als der erste schwarze Präsident, hat nicht eine Periode der Überwindung des Rassismus eingeleitet. Dass Amerika einen schwarzen Präsidenten bekam, war eine acht Jahre dauernde Provokation für ein weißes Segment der Bevölkerung. Obamas Amtszeit hat eine mächtige Gegenbewegung geweckt, die von Trumps Sieg legitimiert wird. Nachdem Political Correctness von Trump als verlogen denunziert und abgeschafft wurde, ist es üblich geworden, Muslime, Ausländer, Frauen und sexuelle Minderheiten zu beleidigen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. „Mexikaner bringen Drogen, sie bringen Kriminalität mit sich. Sie sind Vergewaltiger“, behauptet Trump. Er hat den Tabubruch vorgemacht, seine Anhänger machen es ihm nach. „Wir holen uns mit der Aufnahme von Flüchtlingen „alle Krankheiten der Welt ins Land“, behauptet Petra Federau von der AfD.

Als Obama 2008 seine Präsidentschaft antrat, lag die Arbeitslosenquote bei 10 Prozent. Zwei Jahre später ging es wieder aufwärts. Jetzt am Ende seiner Amtszeit liegt die Arbeitslosenquote bei 4,9 Prozent. Trump wird also eine wesentlich robustere Wirtschaft erben als damals Obama.

Ungeachtet dieser Lage lebt die Rezession weiter, teilweise als gefühlte Wahrheit, teilweise konkret. Vor allem bei Millionen Arbeitern, die wegen mangelnder Qualifikation arbeitslos sind, oder schlecht bezahlte Jobs haben. Von Clinton als der Fortsetzerin Obama’scher Politik erwarteten sie keinen Wechsel. Trumps Versprechen, neue Jobs zu schaffen, waren Parolen, die auf fruchtbaren Boden fielen.

Die Demokraten hatten erwartet, dass schwarze Amerikaner, Hispanics und Frauen in überwiegender Mehrheit Clinton wählen würden. Es sind die Gruppen, für deren Interessen sich die Demokratische Partei seit langem eingesetzt hat. Doch ihre Stimmen reichten nicht aus, sie wurden überstimmt von einer anderen Gruppe, den weißen, älteren, weniger gebildeten Amerikanern.

Letzten Endes war es nicht ökonomische Not, die den Wahlausgang entschied, wie folgender Umstand zeigt. Die Städte Naples und Marco Island, gelegen in Collier County im Südwesten Floridas, gehören zu den reichsten Städten der USA, mit der zweithöchsten Konzentration von Millionären pro Kopf. Trump gewann hier über neunzig Prozent der Stimmen. Zwei Gründe gibt es dafür. Erstens wählen Reiche meist die Kandidaten der Republikanischen Partei, weil niedrige Steuern für Reiche traditionell zu ihrem Wahlprogramm gehören.

Den zweiten Grund findet man in dem zunächst überraschenden Phänomen, dass die reichen, gebildeten Amerikaner mit den Wählern der bildungsfernen ärmeren Schichten eine Gemeinsamkeit haben: Weiße, reiche Amerikaner und arme, weiße Amerikaner gehören zur „schweigenden Mehrheit“ der Weißen, die Trump so gerne beschwört.

Es ist diese Mehrheit, die „ihr Land zurück haben“ will, die „Amerika wieder groß machen“ will. Es ist überwiegend die Generation der Alten, die diese Sehnsucht haben. Die Jungen, die Millennials, hätten den Sozialisten Bernie Sanders gewählt, wenn er nominiert worden wäre. Da das scheiterte, blieben sie zu Hause. Ältere Weiße wählten Trump aus Rache und Wut über eine Entwicklung Amerikas, die schon in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen hat und Amerika in eine heterogene, multikulturelle, globale Gesellschaft verwandelt hat.

Die weiße Mittelschicht fühlt sich gesellschaftlich und wirtschaftlich abgehängt, fühlt sich an den Rand gedrängt von Minderheiten, von Schwarzen, Migranten, den Medien, der intellektuellen Elite, der Washingtoner Politik, der Schauspieler-Clique aus Hollywood – kurz: vom ganzen verhassten Establishment. Zum Establishment gehören die zur Millionärin gewordene Hillary Clinton und ihre Partei, die die Misere verschuldet habe. Diese Partei sei es nämlich, die alle möglichen Minderheiten verhätschelt und dabei die weiße Mittelklasse der arbeitenden Bevölkerung ignoriert habe. Je gehässiger Trump über das Establishment herzog, desto leidenschaftlicher gröhlten und johlten die Menschen.

Szenenwechsel nach Deutschland – die Stimmung ist dieselbe. Jene, die Deutschland „abgeschafft“ sehen, versammeln sich pöpelnd bei Pegida und jauchzen über die Provokationen der AfD gegen Lügenpresse, Merkel und alle anderen „da oben“, die das deutsche Volk mit politischer Korrektheit entmündigen.

Von der CDU wird gesagt, dass sie sich unter Merkel nach links entwickelt habe, hin zu sozialdemokratischen Positionen der SPD. Von der Demokratischen Partei Amerikas sagen die Republikaner, dass sie sozialdemokratische. unamerikanische Ziele verfolge. Die Ideengeschichte der linken Bewegung besteht zum großen Teil aus dem Streben nach Emanzipation gesellschaftlich unterdrückter Gruppen. In dieser Hinsicht hat sie sowohl in Deutschland als auch in Amerika an Macht gewonnen und große Fortschritte gemacht. Der Erfolg hat aber auch dazu geführt, dass viele Linke ihre Ideologie als die einzig richtige proklamieren. Widerspruch gegen diese Ideologie wird von Linken und ihren Parteien oft als irrational, gestrig und antiprogressiv deklariert. Sie dominieren den intellektuellen Diskurs der letzten Jahrzehnte und geraden dabei in die Gefahr, gegen ihre eigene Identität zu verstoßen, indem sie Andersdenkende nicht genügend tolerieren.

Infolgedessen ist es nicht verwunderlich, dass linke Politik von dem Teil der Bevölkerung, der keiner Minderheit angehört, also dem so genannten „Volk“, als arrogant wahrgenommen wird. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Linken sich aus Intellektuellen rekrutiert, die die Presse und in Amerika vor allem auch die Universitäten dominieren. Das ist der Boden, auf dem Populismus gedeiht. Populistische Führer treten an mit dem Anspruch, die Interessen des verkannten wahren Volks, der bisher schweigenden Mehrheit, zu vertreten. Gleichgültig, wie leer ihre Parolen sind, solange sie gegen die Elite und das Establishment sind, gehört ihnen die Sympathie derer, die sich missachtet und gekränkt fühlen.

Enttäuschte Bürger scharen sich hinter Populisten, die den Feldzug gegen das Establishment anführen. Je gehässiger, je provokanter, je tabuloser sie ihre Gegner – ob sie Clinton oder Merkel heißen – beschimpfen, desto fanatischer gröhlen die Leute. Populisten reden ihnen ein, sie verkörperten eine Bewegung von unten gegen die „da oben“. Die ‚da oben’- das sind die Eliten in Politik, Medien und Wirtschaft, die das Volk für dumm verkaufen wollten. Sie alle sind das System, das sich gegen das Volk verschworen habe und das gestürzt werden müsse, um das Land vor dem Untergang zu retten.

Anhänger der Populisten rekrutieren sich aus vielerlei Gruppen. Da gibt es die weißen Amerikaner und die national-konservativen Deutschen, die beide ihre vertraute Lebensart in Gefahr sehen, da gibt es Dummköpfe und Hochgebildete, da gibt es amerikanische Evangelikale und deutsche Atheisten, da gibt es die Gegner gegen Globalisierung und europäische Einheit – sie alle eint Ressentiment, Angst und Wut auf das herrschende System.

Hier deutet sich eine große Gefahr an: Sollte es ihnen gelingen, das bestehende System zu stürzen, fragt sich, welches andere System an seine Stelle tritt. In Deutschland werden Vorwürfe, dass die AfD von nazistischem Gedankengut unterwandert sei, von der Partei zwar offiziell bestritten, aber Zweifel daran bestehen weiter. In den USA wird Trumps Sieg von den nationalistischen Gruppen (American Freedom Party, American Nationalist Party, Alt-Right, Ku Klux Klan) triumphierend gefeiert. Durch ihn eröffnet sich „ein neuer ideologischer Raum“, sagt Richard Spencer, der Sprecher der rechtsradikalen Alt-Right. Dass Trump Steve Bannon, den als antisemitisch und nationalistisch geltenden Leiter der Breitbart News als seinen Hauptstrategen ernannt hat, gibt den Rechten Hoffnung auf eine Breitenwirkung ihrer Ideologie.

Der zweite Präsident der USA schrieb an seine Frau Abigail: „Denk daran, Demokratie währt niemals lange. Schon bald verfällt, erschöpft und ermordet sie sich selbst.“ Diese Gefahr muss man sehen, sonst passiert, was Klaus Modick in seinem Roman über das Aufkommen des Nationalismus in Deutschland beschreibt.