Was in den 1950er Jahren als Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) entstand, hat sich in den folgenden Jahrzehnten zum „größten demokratischen Club der Welt“ (Charles Krauthammer, amerikanischer Kolumnist) entwickelt, zur Europäischen Union. Grund für den Zusammenschluss westeuropäischer Länder war der Wunsch, dass blutige, zwischen Nachbarstaaten ausgetragene Kriege sich nie wieder ereignen sollten, dass nationale ‚Erbfeindschaften‘ für immer beendet sein sollten. Bedingungen für die Erfüllung dieser Hoffnung war die Unterordnung nationalstaatlicher Interessen zugunsten der Gemeinschaft. An die Stelle nationaler Befindlichkeiten trat der Wille zur Kooperation. Die Tatsache, dass im Osten durch das Machtkonzentrat der Sowjetunion eine Drohung für Westeuropa ausging, trug dazu bei, dass von Anfang an eine enge Allianz zwischen EU und den USA bestand, die – auch im Interesse der USA – den Schutz der EU garantierte. Eine Friedensepoche war entstanden, wie es sie in dieser Länge noch nie in der europäischen Geschichte gegeben hat.
Die Erfolgsgeschichte der EU scheint ihrem Ende entgegen zu gehen. Die europäische Solidarität steht vor dem Zusammenbruch. Es ist nicht nur der Ärger über die unübersichtliche, übermäßige Bürokratie in der EU-Verwaltung, der Europa-Überdruss erzeugt. Eine generelle Europa-Müdigkeit macht sich bemerkbar. Der Wunsch nach Frieden in Freiheit und guter Nachbarschaft wird überlagert von zunehmend nationalen Egoismen. Probleme im Zusammenhang mit Euro-Krise, Marktliberalisierung, Sozialabbau, Globalisierung und Brexit belasten die Beziehungen zwischen den Ländern, und vor allem unterschiedliche Reaktionen auf das Flüchtlingsproblem machen den Verlust der europäischen Solidarität schmerzlich sichtbar.
Als große Verlockung erscheint in dieser Stimmung der Europa-Müdigkeit die Rückkehr in die vermeintlich gute, alte Zeit der Nationalstaatlichkeit. Ausgenützt wird diese Stimmung von rechtspopulistischen Parteien, die fast überall in Europa diese Rückkehr als einzigen Ausweg aus der Misere Europas anpreisen. Populistisch sind diese rechtskonservativen Bewegungen, weil sie emotionalen Sehnsüchten einfache Erfüllungen versprechen. Doch was sie versprechen, ist nichts anderes als Illusion. Natürlich sehnt sich der Mensch, der sich einer komplexen, anonymen, unübersichtlichen Welt ausgeliefert sieht, nach Geborgenheit in einer überschaubaren Lebenswelt, die er versteht, die Heimat für ihn ist. Die Region, in der er lebt, ihre Geschichte und Tradition, ihr Brauchtum und Dialekt können ihm Geborgenheit geben. Doch er kommt nicht umhin, das Insulare dieser Situation zu realisieren: Die wirkliche Welt, in der diese heimatliche Insel ihr nostalgisches Leben fristet, ist eine globale Welt. Diese Welt ist transnational, international nach allen Seiten offen, durch keine Grenzen eingeschränkt, ökonomisch und kulturell global vernetzt.
Die Lebenswirklichkeit der Menschen hat sich diesem globalen Umfeld längst angepasst. Sie ist über den engen heimatlichen Kreis hinaus gewachsen, hat sich nicht nur das eigene Land erschlossen, sondern die ganze Welt. Globale Informationen durch Computer und Massenmedien haben zu einer Vernetzung von Arbeitswelt, Kultur und Lebensart geführt, die einen fast unendlichen Raum von Möglichkeiten eröffnen: Urlaub nicht mehr im Schwarzwald, sondern in exotischen Ländern; Studium und Praktika im Ausland; Arbeiten nicht im Herkunftsland, sondern da, wo man die besten Chancen hat. Multikulturelle Einflüsse befruchten Modetrends, Filme, Musikvorlieben, Literatur, Speisegewohnheiten – alles Manifestationen der internationale Lebensartvernetzung .
Die Europäische Union ist nicht gleichzusetzen mit Europa. Sie ist ein Zweckbündnis europäischer Länder, die ins Leben gerufen wurde durch den Willen, die Verwandtschaft und den Zusammenhalt dieser Länder in Form einer Organisation zu dokumentieren und Konflikte, die zwischen einzelnen Ländern entstehen, demokratisch zu lösen. Viele sind heute der Meinung, die EU würde ihre Aufgabe nicht erfüllen. Rechtspopulisten kämpfen mit allen propagandistischen Mitteln gegen die EU und können ihren Zusammenbruch kaum erwarten.
Gibt es eine Zukunftsvision für die EU? Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliederländer wollen Ende März 2017 eine Erklärung veröffentlichen, in der sie die Richtung für die nächsten zehn Jahre vorgeben. Wird dies die ‚Geburtsurkunde‘ der neuen EU ohne Großbritannien? Die Erklärung soll anlässlich der Feier zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge, die als Geburtsurkunde der EU gelten, veröffentlicht werden. Die Symbolkraft des Ereignisses weckt die Hoffnung auf die Wiederbelebung der europäischen Idee, die sich nicht in nationalen Egoismen realisiert, sondern in der kulturellen Vielgestaltigkeit der Länder, aus der die europäische Familie besteht. Eine Erneuerung und Stärkung der EU wäre auch eine Niederlage für die europäischen Rechtspopulisten.
Rechtspopulismus ist aber nicht nur eine europäische Erscheinung. Mit der Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten wurde auch in den USA eine Bewegung eingeleitet, von der sich die europäischen Rechtspopulisten Hilfe für ihre eigenen Wahlerfolge erhoffen. Geert Wilders sieht in Trumps Sieg einen „patriotischen Frühling“, Marine Le Pen einen „Hoffnungsschimmer“ und Frauke Petry gratuliert Trump zu einem „historischen Neuanfang“. Beim Treffen der europäischen Rechtspopulisten in Koblenz findet Le Pen im Trumpismus Gemeinsamkeiten „mit dem, was wir sagen“.
Frauke Petry von der AfD erläutert in einem Interview in der Wochenzeitung Junge Freiheit worin diese Gemeinsamkeiten bestehen: Kampf gegen die Eliten, die von der Globalisierung profitieren zum Schaden der einfachen Menschen. Kampf gegen die schrankenlose Masseneinwanderung in die Staaten des Westens. Ende der Political Correctness. Die Menschen hätten es satt, dass ihre Heimat verwahrlost und ihre Nationalkulturen abgeräumt würden. Die Menschen hätten es satt, sich von Politik und Medien Schuldgefühle über mangelnde Toleranz einimpfen zu lassen (https://jungefreiheit.de/pressemitteilung/2016/frauke).
Die ethnische Reinheit der USA als Nation zu erhalten, dürfte Trump schwerfallen, da Amerika ein Land ist, das aus Einwanderern besteht und praktisch sämtliche Ethnien und Kulturen der Welt Heimat gegeben hat. Deswegen ist sein erstes pauschales Einreiseverbot für Muslime von der Mehrheit der Amerikaner nicht gutgeheißen und gerichtlich aufgehoben worden.
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass eine gegen Globalismus gerichtete Bewegung ein globales Phänomen geworden ist. Seine Wurzeln liegen in der europäischen Gegenaufklärung, die gegen die Werte der Aufklärung rebellierte. Vernunft, Wissenschaft, Gesetz, Toleranz, Konstitionalismus wurden abgewertet und ersetzt durch den Glauben, dass Tradition, Blut und Boden, rassische Identität und Macht eine Gesellschaft zusammenhalten, ein Volk definieren. Der Nationalismus war damit geboren.
Der globale Trumpismus ist eine Bewegung der Ablehnung, der Aggression, der Wut gegen Bestehendes. Er ist anti-elitär, Anti-Establishment, anti-international, anti-multikulturell, anti-intellektuell, Anti-Political-Correctness, anti-gleichgeschlechtliche Ehe, Anti-Einwanderung, usw.
Es ist opportun für europäische Rechtspopulisten, Trumpismus in ihrem Sinn zu definieren. Wenn Petry Trump dafür lobt, dass er verhindern will, dass die Medien den Menschen gewisse Meinungen „einimpfen“, dann erwähnt sie aber nicht, dass die von Trump selbst verbreiteten ‚Wahrheiten‘ unverschämte Lügen sind. Hier eine Aufstellung der eklatantesten: 1) Jahrelang behauptete er, Obama sei in Kenia geboren und illegitimer Präsident. 2) Seinem Konkurrenten im Wahlkampf unterstellte er, dass dessen Vater am Mord John F. Kennedys beteiligt gewesen wäre. 3) Bei der Wahl wären 3 bis 5 Millionen illegale Stimmen für Clinton abgegeben worden. 6) Die Zuschauermenge bei seiner Inauguration sei wesentlich größer gewesen als die bei Obamas Feier. 7) Obama habe angeordnet, sein Telefon abzuhören. – Die Zahl seiner Lügen ist unendlich. Es wird sarkastisch gefragt: Woran erkennt man, wenn Trump lügt? Antwort: Wenn er die Lippen bewegt.
Für nicht Englisch sprechende Europäer ist es schwierig, Trumps Redestil zu beurteilen. Amerikanische Linguisten sind sich nicht einig, ob er in seiner Wortwahl und Grammatik wie ein Drittklässler oder Viertklässler spricht. Doch diese intellektuelle Schwäche ist eine Stärke des Populisten. Das ist nämlich die Sprache, die von Petrys „einfachen Menschen“ verstanden wird, wenn ihnen eine blühende Zukunft für Amerika versprochen wird. Diese „einfachen Menschen“ sind es auch, die sich von der Mehrheit der elitären und etablierten Wissenschaftlern nicht einreden lassen, dass Menschen mitverantwortlich sind für den Klimawandel. Wie sollten sie auch, wenn ihr Präsident selbst sagt, dass der Klimawandel ein von den Chinesen erfundener Schwindel ist. Deutsche Rechtspopulisten stimmen zu. Der AfD-Abgeordnete Ralf Borschke bezeichnete den Klimawandel als „Panikmache“ und „weltweite sozialistische Umverteilungsaktion“ (www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/AfD).
Alle Bestrebungen des europäischen und amerikanischen Rechtspopulismus haben einen Hauptnenner: Sie münden in eine Ablehnung des modernen Lebens. Sie wehren sich gegen die Geschwindigkeit der ständigen Veränderung, gegen die von den Medien verbreitete Flut von Informationen, gegen neue Technologien und gegen neue moralische Sitten. Konservative Nostalgie wehrt sich gegen den Verfall von Gemeinschaft, Tradition, Religion und der kleinen Welt dörflicher Geborgenheit. Alle diese Werte verkörpern sich im Phänomen des allumfassenden Globalismus. Ihn abzuschaffen ist das Ziel des Rechtspopulismus, der – und darin liegt die Ironie – ein Globalismus ist.
Wenn auch Rechtspopulismus sich wesentlich durch seine Abwehrhaltung definiert, gibt es etwas, wozu sich sowohl der Trumpismus als auch der europäische Rechtspopulismus positiv verhält: Es ist Putin und seine Ideologie. Beatrix von Storch bringt die Haltung der AfD zu Putin auf den Nenner: „Russland ist unser Freund und Partner – nicht Rivale oder Gegner“ (Twitter, 13. 06.16). Putin beansprucht, als Gegner des von den USA praktizierten Globalismus, die Speerspitze des Konservatismus in Europa zu sein. Political Correctness hat dieser Konservatismus abgeschafft. Minderheitern wie Homosexuelle werden wie in der guten alten Zeit diskriminiert und gleichgeschlechtliche Ehe kommt schon gar nicht in Frage. Auch im Westen gibt es bei den Rechtspopulisten den Putin’schen Traum vom Projekt einer Eurasischen Union. Sie würde Putins Einfluss strategisch ausweiten und den Einfluss der USA beträchtlich verringern. Aus der Nato auszutreten, die Sanktionen anlässlich der Krim-Annexion und Ukraine-Krise zu beenden, wäre ganz im Sinn der europäischen Rechtspopulisten, der französischen Front National, die russische Kredite annimmt, der niederländischen Partei für die Freiheit, der deutschen AfD und der britischen UKIP. Dass der Nationalist Putin ein autoritärer Herrscher ist, Demokratie und Menschenrechte unterdrückt und unliebsame Kritiker umbringen lässt, wird von den Rechten im Westen ignoriert aus dem einfachen Grund, weil Putinismus eine Ideologie ist, mit der sich westliche Rechtspopulisten durchaus identifizieren können.