Sie lassen sich das Schießen nicht verbieten

Die Chronik der Schießereien in den USA ist endlos lang. Das letzte Massaker ereignete sich kürzlich in Texas, wo am 24. Mai 2022 ein achtzehnjähriger Amokschütze in einer Grundschule 19 Kinder und zwei Lehrer erschossen hat. Wie immer löste das Ereignis Entsetzen aus. Wie immer zeigten sich Politiker erschüttert, versicherten, in Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen zu sein, riefen zum Gebet auf. Wie immer begann die Diskussion über den allzu leichten Zugang zu Schusswaffen. Wie immer stehen sich heute wieder Befürworter einer strengeren Waffengesetzgebung und die Verteidiger des Rechts auf freien Schusswaffenbesitz leidenschaftlich gegenüber. Wird jetzt endlich etwas geschehen? Wie immer wird wahrscheinlich wieder gar nichts geschehen. Die Politiker-Platituden wird man vergessen, und die ganze öffentliche Erschütterung wird wohl absolut folgenlos bleiben.

Nirgendwo in der Welt gibt es so viele Christen wie in den USA, die die Bibel wörtlich auslegen. Die Verfassung (Constitution) der USA wurde 1787 verabschiedet. Ihr wurden 1791 zehn Erweiterungen, in der sogenannten Bill of Rights, hinzugefügt. Seitdem hat dieses Dokument, das der Hälfte der Bevölkerung, den Frauen und Schwarzen, das Wahlrecht verweigerte,die Funktion einer säkularen Bibel übernommen. Es wäre ein Tabu, zu fragen, ob die Gesetze, die am Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Geist und den Bedingungen ihrer Zeit, von den Gründervätern (Founding Fathers) formuliert wurden, unverändert in der heutigen Zeit gültig sein können. Die Verfassung gilt als unantastbar und darf nicht modernen Gegebenheiten Rechnung tragen. Um zu realisieren, wie schwer gelegentlich realisierte Änderungen fallen, erinnere man sich: Es bedurfte eines blutigen Bürgerkriegs, die Sklaverei abzuschaffen, die einmal rechtmäßig war. Es scheint manchmal, als müsse es wieder einen Bürgerkrieg geben, um ein notwendiges modernes Waffengesetz zu schaffen.

Die Gegner jeglicher Einschränkung der Waffengesetze berufen sich auf den Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung (2nd Amendment). In ihm heißt es:

„Eine gut regulierte Miliz, die für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, das Recht der Menschen, Waffen zu behalten und zu tragen, darf nicht verletzt werden.“

Diese Formulierung ist keine stilistische Meisterleistung an Klarheit und lädt zu unterschiedlichen Interpretationen ein.  Gegner einer Einschränkung des Waffenrechts machen es sich leicht, indem sie einfach den Teil zitieren, der ihre Position stützt: Der Staat habe kein Recht, dem Menschen das Waffentragen zu verbieten. Die Befürworter strengerer Waffengesetze weisen darauf hin, dass es heute keine Miliz gebe. Außerdem hätten die Gründerväter nur solche Waffen gekannt, die nur einen Schuss feuern konnten und hätten nicht ahnen können, was man mit modernen Schnellschusswaffen anstellen könne.

In einer leidenschaftlichen Rede forderte Präsident Biden den Kongress auf, Angriffswaffen (Assault-style weapons) zu verbieten, die Hintergrundkontrollen, also Zuverlässigkeitsprüfungen von Waffenkäufern, zu erweitern und strenge „red flag“ Gesetze zu verabschieden. Das sind Gesetze, die es der Polizei oder Familienmitgliedern erlauben, mit Hilfe eines Gerichtsbeschlusses die Waffe eines Menschen einzuziehen, der im Verdacht steht, sich selbst oder andere zu gefährden.

Der Präsident ist hier nicht nur der Sprecher seiner Demokratischen Partei, sondern er spricht auch für eine Mehrheit der Amerikaner, die für eine Verschärfung der Waffengesetzte ist. Dem gegenüber steht die Menge der waffenliebenden Mitglieder der NRA (National Rifle Association) und der Konservativen Partei, deren Politiker sich große Mühe geben, ein gutes Verhältnis zur NRA zu haben. Dieses gute Verhältnis zahlt sich nämlich aus in Form finanzieller Spenden, die die NRA ihren Lieblingspolitikern in der Konservativen Partei zukommen lassen.

Die heutige Konservative Partei wird von niemandem besser verkörpert als von dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Machtstreben, Heuchelei und Zynismus vereinigen sich in ihm auf exemplarische Weise. Sein Einfluss auf die Partei ist auch nach seiner Wahlniederlage, die er nie zugegeben hat, größer denn je. Bei der Jahresversammlung der NRA in Houston, Texas, hielt er eine Rede, in der er sich er sich auf das schreckliche Ereignis in Texas bezog, wo 21 Menschen getötet wurden. Zu Anfang seiner Rede bat er um einen „schönen Moment der Stille“, in der er in populistischer Effekthascherei die Namen all der Opfer des Massakers vorlas. Dann sprach er das Urteil über den Attentäter:

„Das Ungeheuer, das dieses Verbrechen beging, ist das pure Böse, die pure Grausamkeit, der pure absolute Hass. Und während jene, die er schlachtete, jetzt bei Gott im Himmel sind, wird er zum ewigen Höllenfeuer verdammt sein. Ich weiß, dass jeder hier sich mir anschließt im Gebet für die Familien, die plötzlich das hellste Licht ihres Lebens verloren haben.“

Dieses Zitat enthält die typischen Argumente, mit denen die Waffenlobby auf Schussmassaker reagiert:  Moralische Entrüstung über den Schützen, Teilnahme am Schmerz der Leidtragenden und religiös verpackter Trost. Als Hohn müssen es die Angehörigen empfinden, wenn dieselben Politiker, die ihnen „Gedanken und Gebete“ anbieten, sich weigern, mit einer strengen Waffenkontrolle für öffentliche Sicherheit zu sorgen.

Es sind Trump und seine Konservative Partei, die nicht bereit sind, den Waffenkritikern das kleinste Zugeständnis zu machen. Im Gegenteil. Trump nennt die Demokraten „zynische Politiker, die die Tränen weinender Familien ausnützen, um ihre Macht zu vergrößern und uns unsere gesetzlichen Rechte wegzunehmen.“ Sie, die Konservativen, haben andere Vorschläge, wie man Kinder in Schulen schützen soll. Ihr Sprecher, Donald Trump, verkündigte sein Rezept zur Vermeidung solcher Attentate:

„Jedes Gebäude soll einen einzigen Eingang haben. Außen sollte es einen starken Zaun, Metalldetektoren und neue Technologie geben, die sichern, dass kein unautorisiertes Individuum mit einer Waffe jemals die Schule betreten kann. Und vor allem sollte jede Schule in Amerika einen bewaffneten Polizisten auf Wache stehen haben … Es ist an der Zeit, endlich gut ausgebildeten Lehrern zu erlauben, verdeckte Waffen zu tragen.“

Was Trump als Sprachrohr der Konservativen fordert, ist nichts weniger, als Amerikas Schulen in eine Festung zu verwandeln. Schließlich zitiert er den von der NRA immer wieder gebrauchten Slogan: „Die einzige Möglichkeit einen bösen Kerl mit einer Waffe unschädlich zu machen, ist ein guter Kerl mit einer Waffe.“

Traumatisierte Eltern des Massakers in der Grundschule In Uvalde, Texas, wo 19 Kinder getötet wurden, machten einen dringenden Appell an den Kongress, worauf das Repräsentantenhaus darüber abstimmte, ob der Verkauf von halbautomatischen Waffen an Jugendliche unter 21 Jahren und Großraum-Magazine verboten werden solle. Wie erwartet, wurde der Gesetzentwurf verabschiedet, denn die Demokraten haben im Repräsentantenhaus die Mehrheit. Kein Zweifel besteht daran, dass er demnächst im Senat, wo sich Demokraten und Konservative in gleicher Zahl gegenüberstehen, nicht die geringste Chance hat, verabschiedet zu werden. Die Konservativen werden wie immer fast geschlossen dagegen stimmen und die Demokraten werden nicht die benötigten sechzig Stimmen haben, um den Antrag durchzubringen.

Wie schon eingangs gesagt: Nichts wird sich im Hinblick auf die extrem freizügige Verfügbarkeit von Waffen in den USA ändern. Kein Massaker ist schockierend genug, die  National Rifle Association und ihre  politischen Helfershelfer umzustimmen.